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Dr. Torsten Schulze, Transfusionsmediziner und Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung

Die Suche nach dem universell verträglichen Blut

10.09.2021
Laura Pagel

Ob bei schweren Unfällen oder während der Therapie von Krebserkrankung viele Behandlungen sind nur dank moderner Transfusionsmedizin möglich. Und dafür braucht es die passenden Blutpräparate, denn wenn einem Patienten Blut übertragen werden soll, muss seine Blutgruppe mit der des Spenders übereinstimmen oder verträglich sein. Sonst kann es zu schweren Komplikationen kommen.

Ein kanadisches Forscherteam, rund um den Biochemiker Peter Rahfeld, hat  nun ein Verfahren entwickelt, mit dem künftig mehr geeignetes Spenderblut zur Verfügung stehen könnte.

Wir bitten Transfusionsmediziner und Leiter unserer Abteilung Forschung und Entwicklung, die sich mit der Entwicklung neuartiger Blutprodukte befasst, Dr. Torsten Schulze, um eine Einordnung:

Forscher der University of British Columbia in Kanada haben ein Verfahren entwickelt, bei dem die Blutgruppe von Blutpräparaten nachträglich angepasst werden kann. Sie haben geschafft Präparate der Blutgruppe A in die universell einsetzbare Blutgruppe 0 zu verwandeln. Sind damit in Zukunft alle Engpässe in der Versorgung mit Blutpräparaten gelöst?

Im Grunde ist das seit 40 Jahren ein Thema. Da sind die ersten Arbeiten aufgetaucht, in denen man versuchte die Blutgruppenmerkmale A und B auf Blutgruppe 0 zurückzuführen. Das ist im kleinen Maßstab auch schon gelungen.
Vor etwa einem Jahr wurde dann eine sehr schöne Arbeit veröffentlicht, in Nature Microbiology, wo man zeigen konnte, dass man dies mit einer sehr hohen Effizienz hinbekommen hat.
Um einen Schritt zurückzugehen: Es geht grundsätzlich darum, dass man im AB0-Blutgruppensystem alle Merkmale auf das Merkmal 0 zurückführt.
Menschen der Blutgruppe A und B vertragen nur jeweils Blut derselben Gruppe und der Blutgruppe 0. Auch Menschen der Blutgruppe 0 vertragen kein Blut der Blutgruppen A und B. Präparate der Blutgruppe 0 sind hingegen grundsätzlich einmal für alle verträglich.
Das liegt daran, dass man in den ersten Lebensmonaten gegen die Strukturen A und B immunisiert und dann entsprechende Antikörper bildet. Man stellt sich das als eine Kreuzreaktion mit Darmbakterien vor, die nach und nach die Darmflora besiedeln deren Oberfläche A und B sehr ähneln. Ein immunologisches Gesetz ist, dass man gegen das immunisiert, was einem fehlt: Blutgruppe A gegen B oder Blutgruppe 0 gegen A und B.
Wenn man die Merkmale A und B von den Roten Blutkörperchen Präparaten trennen könnte, dann hätte man zumindest im AB0-System eine komplett verträgliche Blutgruppe, die eigentlich jedem im Notfall zur Verfügung gestellt werden kann. Das ist natürlich vor dem Hintergrund der allgemeinen Verträglichkeit von Blutpräparaten eine ganz tolle Sache.
Der Aufhänger in diesem Journal war dann auch tatsächlich: „Towards universally acceptable blood“

Also man hat wirklich das Ziel sehr hoch gehängt.
Dass es für alle verträglich ist, ist aber nicht die ganze Wahrheit.

Warum nicht?

Das AB0-Sytem ist zwar das allerwichtigste, weil man mit einer fast 100-prozentigen Sicherheit eine schwere oder tödliche Transfusionsreaktion hervorrufen würde, wenn inkompatibel transfundiert wird, also ein Patient mit Blutgruppe 0 ein Präparat der Blutgruppe A oder B bekommt.
Aber es gibt natürlich neben diesen Blutgruppenmerkmalen noch sehr viel mehr Blutgruppensysteme, gegen die man Antikörper bilden kann.
In den anderen Blutgruppensystemen ist es eher so, dass man Antikörper durch eine Immunreaktion bilden muss. Etwa durch Schwangerschaft oder frühere Bluttransfusionen. Da wird das Ganze kniffliger, denn das heißt für Patienten, die chronisch Blut bekommen und Antikörper gebildet haben, ist diese Lösung nichts, weil es nur auf ein einziges Blutgruppensystem zugreift. Andere Blutgruppensysteme – wie zum Beispiel das Rhesussystem, Duffy, Kidd, Kell – die sind nicht berücksichtigt. Deshalb hat man nicht sofort Präparate, die für alle verträglich sind. Man kann sagen, man hätte Präparate für Patienten, die noch keine weiteren Antikörper haben.

Für wen wären diese umgewandelten Präparate dann überhaupt geeignet?

Das was man stets berücksichtigt, wenn man jemanden transfundiert ist die AB0-Blutgruppe und dann ob der sogenannte Rhesusfaktor positiv oder negativ ist. Und im Kell-System. Diese drei Merkmale berücksichtigt man fast immer. Und diese sind inklusive des Rhesusmosaiks auch auf die Etiketten unserer Roten Blutpräparate gedruckt. Bei den nun umgewandelten Präparaten hätte man Rhesus und Kell nicht berücksichtigt. Das Kell-System ist ein bisschen weniger bekannt, aber der entsprechende Antikörper kann sehr viel zerstören und wirkt auch bis in die Vorstufen der Roten Blutkörperchen. Aber sowohl gegen Rhesus aber auch Kell muss man erst einmal immunisiert werden, um einen Antikörper zu bilden. Man muss davon ausgehen, dass wenn ein Kind ein halbes Jahr oder ein bisschen älter ist, dann hat dieses Kind schon diese Antikörper gegen die Merkmale A bzw. B und dann muss man diese bei der Wahl der Blutgruppe von Blutpräparaten berücksichtigen.
Außerdem muss man wissen: Die Blutgruppe 0 haben zwischen 40 und 44 Prozent der Bevölkerung. Damit ist sie schon sehr häufig. So hätte man im Normalfall immer genügend Präparate. Man kann sich allerdings Konstellationen vorstellen, bei denen Patienten in ein Krankenhaus kommen und man hat nicht viel Zeit, Testungen vorzunehmen. Sie brauchen sofort Blut. Oder der Vorrat im Bereich von Blutgruppe 0 in diesem Krankenhaus ist aufgezehrt. Dann hätte man nur noch Blutgruppe A, die ungefähr ebenso häufig ist, oder B, welche um einiges seltener ist. Diese wären nicht so gut verträglich wie Blutgruppe 0. Der Gedanke ist, dass man Patienten in so einer Notsituation solches Blut anbieten kann und das wäre schon ein Fortschritt.
Es gibt aber noch extrem viele Hürden und deshalb ist das im Moment noch auf dem Niveau von einer wundervollen wissenschaftlichen Arbeit, aber noch ohne Anwendung.

Das heißt, es würde noch nicht am Patienten eingesetzt?

Genau. Was hier erfolgt ist, ist ein System, in dem man nachgeschaut hat, wie effizient man es schafft, die Blutgruppe quasi auf ihren Grundstamm zu reduzieren, so dass Blutgruppe 0 übrig bleibt.
Man kann die Zuckerverästelungen, die an der Blutgruppe 0 befestigt sind und dann das Merkmal A oder B ausmachen, im Grunde abschneiden. Das ist die technische Seite. Als man die chemischen Strukturen irgendwann kannte, war es naheliegend, dass man sich vorstellte, wenn man diese Verästelung wegschneidet, dann haben alle Blutgruppe 0 und dann ist alles gelöst.
Aber gibt daneben wie gesagt ja viel mehr Blutgruppenmerkmale, gegen die man Antikörper bilden kann, sodass man damit nicht alle Probleme lösen kann. Was man aber in der Arbeit nachgewiesen hat, ist, dass man eine extrem hohe Effizienz dieser Umwandlung in Blutgruppe 0 hinbekommt und man hat es auch geschafft hat es auf einem Niveau hinzubekommen, was vorher nie möglich war: Mit relativ wenig Enzym eine komplette Vollblutspende umzuwandeln. Man gibt also das Enzym in eine Vollblutspende hinein und schafft es so, dass die gesamten roten Blutkörperchen danach Blutgruppe 0 sind.
Angewendet an Patienten ist das aber noch nicht und da wird es von der regulatorischen Seite her spannend. Man muss vor allem die Sinnhaftigkeit dieser Sache, wenn man das an Menschen anwenden möchte, gut belegen. Dies erfolgt für Arzneimittel wie das behandelte Blutpräparat im Rahmen eines Zulassungsverfahrens. Und da würde in diesem Fall das Paul-Ehrlich-Institut auch nicht sagen, dass wir an diesem Punkt weitergehen sollen. Der Punkt, bei dem die Aufsichtsbehörde sehr vorsichtig sein wird und wissenschaftliche Daten fordern wird, ist, die Zugabe von bakteriellem Enzym. Das erfordert sehr viele Testungen um nachzuweisen, dass in diesen Blutpräparaten nichts enthalten ist, was einem Patienten schaden könnte. Das heißt, man muss z.B. nachweisen, dass das Enzym danach komplett herausgewaschen wird. Man muss z.B. nachweisen, dass dieser Waschungsschritt nicht oder kaum die Stabilität der roten Blutkörperchen verändert und dass es keine oder kaum Lagerungsschäden oder dergleichen gibt. Die Sorge wäre, dass rote Blutkörperchen, die enzymatisch behandelt und dann gewaschen worden sind, schneller kaputtgehen. Dann könnte freigesetztes Hämoglobin, was in den roten Blutkörperchen enthalten ist, beim Patienten zu Schädigungen führen. Das bedeutet, es gibt sehr viele Dinge, die noch getestet werden müssen.

Um diese Präparate umzuwandeln brauch man ein Enzym. Wie praktikabel ist es, dieses Enzym zu gewinnen? Wäre eine Anwendung überhaupt in der Masse möglich?

Technisch wahrscheinlich schon. Spannend ist die Betrachtung, wie sie an dieses Enzym herangekommen sind. In der Vorstellung, dass es Bakterien im Darm gibt, die die Zuckerreste von der Blutgruppe abtrennen können, hat Peter Rahfeld Stuhl untersucht. Man weiß, dass es da hochspezifische Enzyme gibt, um diese Zuckerreste zu verdauen und in Energie umzusetzen und er hat in seinem eigenen Stuhl unter über 20.000 Enzym-Kandidaten danach gefahndet. Zwei dieser Enzyme hat er dann gefunden und konnte sie Bakterien zuordnen. Und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem man dieses Verfahren tatsächlich großtechnisch umsetzten kann. Denn Enzyme aus Bakterien kann man etwa über Bakterienkulturen sehr stark vermehren.
Analog wie auch Insulin in großtechnischen Verfahren hergestellt wird, könnte man jetzt auch diese zwei Enzyme herstellen. Rein technisch ginge das, denke ich.

Wäre dieses Verfahren dann in der Zukunft doch geeignet, damit – Beispielsweise in Kliniken –immer genug Blut der Gruppe 0 bevorratet ist, falls es einen Notfall zu versorgen gibt?

Man könnte sich das so vorstellen: Die grundsätzliche Überlegung dahinter ist, dass man eine Blutspende hat und alle Patienten der Blutgruppen A, B, 0 und AB könnte man damit behandeln. Dann hat man sofort die Blutpräparate zur Verfügung für Notfallsituationen. Das ist eine aber etwas vereinfachte Sicht, weil die Notfälle nicht den allergrößten Anteil der Patienten eines Krankenhauses ausmachen. Der allergrößte Anteil der Transfusionen entfällt auf geplante Transfusionen etwa von hämatologischen Patienten, also an Blutkrebs Erkrankten, die eine Chemotherapie hatten und infolgedessen deren eigene Blutbildung geschwächt ist. Diese Patienten müssen transfundiert werden und dadurch, dass sie über einen längeren Zeitraum häufig immer wieder Präparate bekommen, bilden sie häufig auch Antikörper gegen weitere Merkmale anderer Blutgruppensysteme. Für diese Patienten wird man in der Regel immer genug Zeit haben, das passende Präparat auszuwählen. Und da haben wir hier in Springe eine sehr hohe Expertise durch die Kreuzprobe im Zusammenspiel mit dem Molekularen Blutgruppenlabor von Dr. Wagner, weil wir mit dem „Extended Typing“ also dem Austesten von Blutpräparaten auf viele weitere Blutgruppenmerkmale, auch in solchen Situationen noch passende Präparate vorhalten können. Unsere große Stärke als Blutspendedienst ist, dass wir im Grunde für fast jeden Patienten noch die passenden Präparate haben.

Aber hier bieten sich dann doch Anwendungen für die Umwandlung speziell der Blutgruppen B und AB, die mit ca. 10 bzw. 5% recht selten sind: Da das Gros der Patienten – über 85% die Blutgruppen A bzw. O haben und die Blutgruppen B und AB nicht vertragen, könnte sich eine Anwendung nur für die Blutgruppen B und AB rechnen. Denn diese würden eher verfallen als die hoch nachgeforderten Blutgruppen und könnten dann so doch noch für Patienten verwendbar sein. Aber auch bei der Versorgung mit Blut, wenn ein Patient verschiedene Antikörper hat und man dazu passend Präparate mit seltenen Blutgruppenmerkmalen – z.B. Vel, Yt -  Präparate findet, die man dem Patienten nicht geben kann, weil sie eben Blutgruppen AB und B sind, die man den Patienten der Blutgruppe A und 0 nicht anbieten darf. Nach enzymatischer Behandlung wären die dann in der speziellen Situation doch verwendbar. Das wäre im Einzelfall zwar nicht billig, aber im Kontext der Versorgung dieser Patienten, bei denen man dann die Kosten langer Transporte z.T. durch ganz Europa in Kauf nehmen würde sich das dann doch sehr relativieren.

Ob sich dies Verfahren generell durchsetzen wird und ob sich die Aufsichtsbehörden darauf einlassen würden ist denke ich unklar.
Aber der Grundgedanke der Arbeit von Rahfeld ist ganz großartig und erinnert mich ein bisschen an die Suche nach der universellen Sprache. Dass man etwas spricht, was alle verstehen. Dass es etwas gibt, was alle miteinander verbindet.
In der Transfusionsmedizin wären das die Präparate, die jeder verträgt.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Referenzen:

Nat Microbiol . 2019 Sep;4(9):1475-1485. doi: 10.1038/s41564-019-0469-7

J Biol Chem.  2020 Jan 10;295(2):325-334. doi: 10.1074/jbc.REV119.008164

AUTOR

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Laura Pagel
DRK-Blutspendedienst NSTOB
Marketing-Referentin

Kommentare

Warum muss man 4 Wochen nach dem piercen, bis man wieder Blutspenden gehen darf?

Hallo Jacqueline, das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Nach einem Piercing oder einer Tätowierung müssen sogar vier Monate Pause bis zur nächsten Blutspende eingehalten werden, weil sich nicht nachvollziehen lässt, wo und unter welchen hygienischen Bedingungen ein Piercing oder ein Tattoo gestochen wurde. Nicht das Piercing an sich stellt den Rückstellungsgrund dar, sondern der Fakt, dass die Haut durchstochen wurde und dass das zu einer Infektion oder Entzündung führen kann. Nach einer viermonatigen Wartezeit ist eine Infektion im Blut bei der Testung sichtbar. Wir freuen uns, dich nach Ablauf der Wartezeit wieder bei einem unserer Blutspendetermine begrüßen zu dürfen. Viele Grüße!

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